Frankfurt lokal

Andachtsräume für alle. Wo Religionen sich die Räume teilen.

Wie viel Christliches dürfen Andachtsräume zeigen, in denen Menschen aus verschiedenen Religionen beten? An der Frankfurter Uniklinik ist darüber ein Streit ausgebrochen. „Evangelisches Frankfurt“ hat sich in der Stadt umgeschaut und umgehört, welche Modelle für interreligiöse Sakralräume es gibt.

Das Haus der Stille auf dem Unicampus Westend. Foto: Ilona Surrey
Das Haus der Stille auf dem Unicampus Westend. Foto: Ilona Surrey

Allahu akbar. Der muslimische Gebetsruf klingt durch die geschlossene Glastür, die ins Innere des Hauses der Stille führt. In dem markanten Bau auf dem Uni-Campus Westend sind die Zeichen der Religionen aufs äußerste reduziert: Ein verziertes schwarzes Kästchen weist auf die „Al Kaabah Direction“, also die Richtung, in der Mekka liegt, und die muslimische Betende zur Orientierung brauchen. Zwei hölzerne Hocker tragen, wie unbeabsichtigt, Kreuze auf ihrer Sitzfläche. Zwölf strukturierte Quadrate in einem Kunstobjekt von Bara Lehmann-Schulz erinnern an Gold und an Sonnenaufgang – Motive, die allen Religionen kostbar sind. Der ovale weiße Raum strahlt Kühle aus. Es ist ein sakraler Ort auf Zeit, der immer wieder neu gefüllt werden muss.

Motive finden, die allen Religionen kostbar sind

Zurzeit hätten die Religionen in dem 2010 eröffneten interreligiösen Haus, das dem Land Hessen gehört, eine „Koexistenzphase“ erreicht, sagt der evangelische Studierendenpfarrer Eugen Eckert. „Wir leben nebeneinander her, aber wir kooperieren nicht.“ Eckert ist dennoch angetan von der Idee, Räume nicht ausschließlich für eine Konfession, sondern für die Religionen der Welt zu bauen. Das eröffne Chancen für ein friedliches Zusammenleben und für Gespräche, für neues Nachdenken über die eigenen Grundhaltungen.

Dass verschiedene Religionen einen Ort gemeinsam nutzen, ist ein relativ neues Konzept. Am Frankfurter Flughafen, wo es bereits seit 1972 Gebetsräume gibt, liegen die christliche Kapelle und die muslimischen und jüdischen Gebetsräume zwar dicht beieinander, aber räumlich getrennt – im so genannten „Gebetsgässchen“, einem Flur im Terminal 1. Gerade am Flughafen, wo so viele Menschen wörtlich „den Boden unter den Füßen verlieren“, sei es wichtig, „Religion als innere Heimat leben zu können“, sagt Flughafenpfarrerin Ulrike Johanns. Auch für orthodoxe Christinnen und Christen entsteht deshalb noch ein eigener Gebetsraum. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 kommen christliche, jüdische und muslimische Gläubige am Flughafen einmal im Jahr zu einer „Abrahamischen Friedensfeier“ zusammen. „Dort können wir uns nebeneinander in unserem Reichtum zeigen und müssen uns nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren“, sagt Johanns.

Müssen Andachtsräume prinizipiell interreligiös sein?

Der geplante Andachtsraum am Uniklinikum hingegen war zunächst als christlicher Raum gedacht – und die Kirchen wollten sich von Anfang an daran auch finanziell beteiligen. Doch dann befürchtete die Klinikleitung christliche Dominanz und wollte auch muslimische und jüdische Vertreterinnen und Vertreter in die­ Gestaltung einbeziehen. Wie angemessen ist es aber, Andachtsräume prinzipiell interreligiös anzulegen? Pröpstin Gabriele Scherle verweist auf die Zahlenverhältnisse: 40 Prozent der Menschen in Hessen sind evangelisch, 25 Prozent katholisch, 5 Prozent muslimisch. Da mache ihr der Streit um einen „zu christlichen“ Andachtsraum an der Uniklinik „schon Mühe“.

August Heuser, der Leiter des Dommuseums, verhandelt für das Bistum Limburg mit der Uniklinik. Inzwischen sei eine Einigung erzielt worden: Es soll nun doch kein „pur interreligiöser Raum“ entstehen, sondern einer, in dem die christlichen Religionen „Präsenz zeigen können“. Ein Tisch als „Zeichen der Verbundenheit“ spiele dabei eine Rolle. Jede Gruppe solle ihr Zeichen haben, „das nicht rein- und rausgetragen wird“. Bewusst auf religiöse Symbole zu verzichten wie beim Haus der Stille auf dem Uni-Campus hält Heuser für eine „Katastrophe“. In einem Krankenhaus, wo es oft um Leben und Tod gehe, könne man nicht nur einen weißen Raum anbieten. Der Ort müsse „in seiner religiösen Stimmigkeit dem Anliegen entsprechen“.

Pröpstin Scherle sieht bei der evangelischen Kirche „eine große Freiheit, Räume mit anderen zu teilen“. Sie will das Thema weiter diskutieren, auch im Rat der Religionen. Sie plädiert für „moderat christliche Räume, in denen wir gastfreundlich sind“. Für überlegenswert hält Scherle die Lösung, die im neuen, nüchternen Andachtsraum der Justizvollzugsanstalt Preungesheim gefunden wurde: ein Kreuz zum Herausnehmen. „An diesem Punkt können wir anderen Religionen entgegenkommen. Das Kreuz ist für Juden unheimlich, und angesichts der Kreuzzüge auch für Muslime.“

Kreuz, Kerzen und Bibel werden bei Bedarf entfernt

Das Zentrum des Raumes bildet in Preungesheim ein Altar aus dem Holz einer tausendjährigen Eiche. Dort sind auch die beiden einzigen unvergitterten Fenster, eines reicht bis zum Boden. „Dorthin gehe ich öfter mit den Gefangenen, damit sie den Blick nach draußen auch körperlich spüren können“, sagt Gefängnispfarrerin Lotte Jung. Zu ihren Gottesdiensten kämen viele Muslime, viele, die zu keiner Religion gehören, und auch Buddhisten. 200 der knapp 600 Gefangenen stehen auf ihrer Gottesdienstliste. Seit Februar gibt es auch einen Imam, „wir sind gut miteinander vernetzt“, sagt Jung.

Für die muslimischen Gebetsveranstaltungen räumt die Pfarrerin Kreuz und Ikone, Kerzen und Bibel raus. Der Altar, das Taufbecken und der Stein für Kerzen bleiben stehen. „Es ist eine besondere Situation im Gefängnis“, sagt Jung, „wer hier arbeitet und Scheu vor anderen Religionen und Kulturen hat, wird Schwierigkeiten haben.“

Interreligiöse Gebetsorte

An öffentlichen Orten wie Flughäfen oder Kliniken, Gefängnissen oder Universitäten entstehen immer mehr inter- oder multireligiöse Andachtsräume und Häuser der Stille. Sie stehen allen offen, die innere Einkehr suchen, meditieren oder beten möchten. Am Flughafen Wien eröffnete bereits 1988 ein interreligiöser Andachtsraum, Bibel und Tora liegen dort ebenso aus wie der Koran und buddhistische Bücher. Die Flughäfen Zürich (1998) und München (2005) folgten.


Schlagwörter

Autorin

Susanne Schmidt-Lüer ist Mitglied der Stabsstelle Kommunikation, Marketing und Fundraising des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. Sie schreibt auch als freie Autorin, vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.