Frankfurt lokal

Neu Bauen, Verdichten, Visionen für die Stadt Entwickeln

Um den Druck aus dem Wohnungsmarkt zu holen, will die Stadt Frankfurt bauen, bauen, bauen. Aber wie kann man es besser machen als bisher? Das diskutierten Stadtplaner und Expertinnen jetzt in der Matthäuskirche.

Die Künstlerin Anna Luise Sulimma hat die Diskussion in der Matthäuskirche als "Graphic Recording" dokumentiert. Rechts Planungsdezernent Mike Josef. | Foto: Heike Baier
Die Künstlerin Anna Luise Sulimma hat die Diskussion in der Matthäuskirche als "Graphic Recording" dokumentiert. Rechts Planungsdezernent Mike Josef. | Foto: Heike Baier

Der große Kritiker lag mit Grippe zu Bett. Niklas Maak war auf dem Podium eigentlich der Part des Widersachers zugedacht gewesen, denn der FAZ-Journalist und Buchautor ist bekannt für seine pointierten Angriffe auf die Frankfurter Wohnungsbau-Politik. Sein Stuhl blieb zwar leer, seine Sätze standen dennoch gleich zu Anfang im Raum: Eine „Zombifizierung der Innenstädte“ durch Luxuswohnungen und Shopping Malls diagnostiziert er, bezeichnet den verdichteten Wohnungsbau als „Ghetto für diejenigen, die nichts anderes mehr bekommen“ und befindet, in Quartieren wie dem Europaviertel entstünden statt Wohnungen „Schlafställe für den bürgerlichen Mittelstand“.  

Es ist allgemein Konsens: Frankfurt gehörte bisher nicht zu den Großstädten, die mit innovativen Lösungen für die Probleme des Wohnungsmarktes glänzen. Andere sind da weiter. Planungsdezernent Mike Josef will das offenbar ändern und hat Experten wie Bürgerinnen zu einer großen Konferenz in der Matthäuskirche geladen. Durch einen Blick über den Tellerrand will man Antworten finden auf die Frage: Wie kann in dieser Stadt mehr Vielfalt im Wohnungsbau entstehen – sozial, funktional, architektonisch?

Hamburg zum Beispiel macht vieles besser

Zum Beispiel Hamburg: 10.000 Wohnungen werden dort pro Jahr gebaut. „Und die große Masse dieser Wohnungen soll sich im bezahlbaren Segment abspielen“, betont der Chef der Hamburger Stadtentwicklung, Matthias Kock. Wie kann die 1,8-Millionen-Stadt das schaffen? 

Zunächst einmal hat Hamburg in einem „Bündnis für Wohnen“ alle Akteurinnen und Akteure am Wohnungsmarkt – vom Immobilienverband bis zu den Mietervereinen – an einen Tisch geholt. 30 Prozent Sozialwohnungen sind Standard, „das haben auch private Investoren geschluckt“. Darüber hinaus nutzt die Behörde weitere Mittel im frei finanzierten Wohnungsbau, um niedrigere Preise zu erzielen: In den großen Neubau-Quartieren vergibt die Stadt 20 Prozent der Fläche an Baugemeinschaften und Genossenschaften. Diese sind ein großes Thema auf der Konferenz und auch für Hamburg von hoher Bedeutung: „Die sind Vorreiter für innovative Wohnformen und spielen bei uns für die Vielfalt im Wohnungsbau eine extrem wichtige Rolle.“ 

Hamburg ist allerdings in der beneidenswerten Situation, bei seinen Neubaugebieten komplett im Besitz des Bodens zu sein – eine Voraussetzung für die so genannte Konzeptvergabe an solche Baugenossenschaften. Der Stadt Frankfurt gehöre dagegen weniger Land, wie Planungsdezernent Mike Josef bedauert. „Wir sind da nicht so aufgestellt wie Hamburg oder München, die ja eine jahrzehntelange Tradition im gemeinnützigen Wohnungsbau haben.“ 

Auf dem Pfingstberg zum Beispiel  befinden sich nur rund 45 Prozent der Fläche im Besitz der Stadt oder stadtnaher Stiftungen. Gleichwohl will Josef versuchen, 10 bis 15 Prozent der neu ausgewiesenen Flächen an Baugemeinschaften und Genossenschaften zu vergeben. Und räumt ein: „Wir stehen da noch ganz am Anfang.“ Um 1100 Menschen wächst Frankfurt jeden Monat, durch Zuzüge ebenso wie durch Geburten.  37.000 Wohnungen müsste das Stadtplanungsdezernat bis 2030 gebaut haben, um den prognostizierten Bedarf zu decken. „Ehrlicherweise kann ich jetzt schon sagen, dass wir nicht annähernd dahin kommen werden.“

Singles in zu großen Wohnungen können nicht umziehen

„Wir brauchen nicht nur ein neues Stadtviertel, wir brauchen mehrere“, findet der Direktor des Deutschen Architekturmuseums, Peter Cachola Schmal. Und er gibt zu bedenken, dass es in der Stadt auch Viertel gebe, in denen mehr Menschen wohnen könnten. „Das Nordend ist toll, aber da haben wir heute vielleicht die Hälfte an Dichte wie früher, weil so viele Single-Haushalte da sind.“ Und das sei nicht der indische Software-Entwickler, sondern die Oma, die nicht aus ihrer Großwohnung ausziehen kann, weil die Miete für eine kleinere zu teuer geworden ist. 

„Heute zieht im Rhein-Main-Gebiet doch keiner mehr um. Die Miete, die er hatte, kriegt er nie mehr wieder.“ In schwierigen Stadtteilen wie Griesheim oder Sossenheim passiert deshalb das genaue Gegenteil vom Nordend: Immer mehr Menschen drängten sich dort in zu klein gewordenen Wohnungen.

Auch in Frankfurt gelten nun 30 Prozent Sozialwohnungen bei neuen Bauvorhaben wieder als Standard, die ABG soll sogar 40 Prozent realisieren. Doch es sei nicht nur die Förderungsquote im Neubau, über die man sprechen müsse, forderte Tilman Harlander, Professor für Architektur und Wohnsoziologie an der Uni Stuttgart. „Wir haben viel zu niedrige Bindungsfristen. Die Sozialwohnungen schmelzen uns weg wie Butter in der Sonne.“ Ende der 1980er Jahre habe es in Deutschland noch vier Millionen mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen gegeben, heute seien davon nur noch 1,3 Millionen übrig. 

Stadtumbau braucht eine soziale Vision

Harlander hält 30 Jahre für ein Minimum, einige Städte experimentierten bereits mit 40 Jahren. Haarsträubend findet der Wissenschaftler die Frankfurter Baupreise mit durchschnittlich 5000 Euro pro Quadratmeter. „Da ist etwas ganz fundamental aus dem Ruder gelaufen. Das kann die Lebensersparnis eines Mittelverdieners nicht mehr leisten.“ Es drohten Inseln des Reichtums und eine Spaltung der Stadtgesellschaft. 

Bei allen wichtigen Debatten über Preise mahnt der Wohnsoziologe jedoch, eine „soziale Vision“ beim Stadtumbau nicht aus den Augen zu verlieren. Sein Paradebeispiel ist Kopenhagen: Dort richte der Stadtplaner Jan Gehl sein Hauptaugenmerk auf das „Dazwischen“ – den öffentlichen Raum zwischen den Häusern, in dem sich die Menschen begegnen können. Erst wenn der Stadtraum organisiert sei, plane Gehl die Gebäude drum herum. „Bei uns läuft es leider genau umgekehrt. Dabei müssten wir als erstes eine Vorstellung darüber gewinnen, welches Stadtleben wir eigentlich wollen.“


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Heike Baier 5 Artikel

Heike Baier zog vor 20 Jahren aus Südbaden nach Frankfurt und hat es nie bereut. Als freie Journalistin schreibt sie über Themen aus Psychologie, Bildung, Architektur und Nachhaltigkeit.

1 Kommentar

6. Mai 2018 12:21 JC

Danke für den inspirierenden Artikel. Ergänzen kann ich nur noch die Wunderfrage: “Was würdest Du anfangen, wenn Du wüsstest, dass Du nicht scheitern kannst?”

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