Gott & Glauben

„Buddhismus hilft, im Leben zurechtzukommen“

In einer Interviewreihe stellt „Evangelisches Frankfurt“ die Mitglieder des Rates der Religionen vor. Klaus Jork ist dort einer der drei buddhistischen Verteter und Mitglied im Vorstand.

Klaus Jork im Tibethaus in Bockenheim. Der 73 Jahre alte emeritierte Medizin-Professor leitet dort den Fachbereich Heilkunde. Foto: Ilona Surrey
Klaus Jork im Tibethaus in Bockenheim. Der 73 Jahre alte emeritierte Medizin-Professor leitet dort den Fachbereich Heilkunde. Foto: Ilona Surrey

Welche Richtung des Buddhismus vertreten Sie im Rat?

Ich vertrete das Tibethaus Deutschland. Das ist ein Zentrum in Bockenheim, wo sich Tibeter und Deutsche, die am tibetischen Buddhismus interessiert sind, treffen und Veranstaltungen abhalten. Tibethaus Deutschland ist ein gemeinnütziger Verein mit einem geschäftsführenden Vorstand und zwei Hauptamtlichen, die vor allen Dingen das Büro führen und die Veranstaltungen organisieren.

Gibt es denn viele Tibeter in Frankfurt?

Nicht viele, aber immerhin vierzig bis fünfzig, die sich zu besonderen Festen Tibets treffen.

Wie sind Sie persönlich dazu gekommen?

1984 machte ich meine erste Indienrundreise, die uns auch nach Nepal führte. Freunde von mir hatten dort in einem Kloster in der Nähe von Kathmandu ein Patenkind und baten mich, ein Geschenk mitzunehmen. Nach der Einführung des Abtes des Klosters übernahm ich dann auch drei Patenschaften für Schüler in dem Kloster. Die Struktur des Klosters, die Philosophie des tibetischen Buddhismus und die Lebensweise der Menschen hat mich so interessiert, dass ich das Geld für die Patenschaften nie geschickt habe, sondern selbst hingefahren bin, manchmal zwei, dreimal im Jahr, um die Entwicklung der Jugendlichen zu beobachten. Ich war aber vorher schon am Buddhismus interessiert, denn ich suchte nach einer Philosophie, die sich zentral mit dem Menschen beschäftigt und ihm hilft, im Leben besser zurechtzukommen.

Was ist für Sie das Wesentliche am Buddhismus?

Dass ich keine Dogmen anerkennen muss. Ich lehne Dogmen ab, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sie das eigenverantwortliche Denken und Entscheiden behindern. Wenn ich nicht selbst denke, nicht selbst entscheide, leistet dies der Manipulierbarkeit der Menschen Vorschub und fördert auch die Intoleranz. So fasziniert mich zum Beispiel am Dalai Lama, dass er sagt: Glaube nur, was du selbst überprüft hast. Ich muss im Buddhismus nicht vor allem gehorsam und demütig sein, sondern kann eigenverantwortlich Methoden suchen und üben, von denen ich glaube, dass sie mir hilfreich im Leben sind.

Wie sind Sie in Kontakt zum Tibethaus gekommen?

Das Tibethaus in Frankfurt gibt es seit 2004. Aber Dagyab Rinpoche, den heutigen spirituellen Leiter des Tibethauses, habe ich schon früher kennen gelernt, 1994, als es Bemühungen gab, an der Universität ein Institut für buddhistische Studien zu etablieren. Durch den persönlichen Kontakt motiviert habe ich an verschiedenen „Einweihungen“ teilgenommen, praktischen Übungen und theoretischen Informationen zu Methoden, mit denen man mit sich selbst arbeiten kann. Dieser lebendige Austausch war Anlass, dass ich heute Leiter des Bereichs Heilkunde im Tibethaus bin.

Was ist tibetische Heilkunde?

In Tibet werden so genannte Geistesgifte als primäre Ursachen von Krankheiten betrachtet: Begierde und Anhaftung, Hass und Aggression sowie Unwissenheit. Dieses vordergründige psychosomatische Verständnis hat Ähnlichkeiten mit dem Ayurveda. Als sich die tibetische Heilkunde im achten, neunten Jahrhundert etablierte, gab es keine Naturwissenschaft im heutigen Verständnis. Man hat zum Beispiel keine Analysen von Medikamenten machen können, es gab keine chemischen Untersuchungen. Man analysierte die Bestandteile der Arzneimittel nach ihrem Geschmack: süß, sauer, bitter, salzig, scharf beziehungsweise heiß und adstringierend. Diese Geschmacksrichtungen setzte man wiederum mit den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum in Verbindung und schuf so eine Beziehung zu den Symptomen der Patienten. Es ist ein induktiv wissenschaftlicher Ansatz, sehr komplex, aber logisch aufgebaut und rational nachvollziehbar.

Wie sieht Ihr spirituelles Leben im Alltag aus?

Die Tibeter meditieren und praktizieren Tantra. Tantra besteht im Wesentlichen aus vier Bestandteilen, nämlich einem Ritual, das Jahrhunderte alt ist und in das man eingeführt wird. Zweitens übt man eine bestimmte ethisch-moralisch orientierte Lebenshaltung, deren Grundlage Mitgefühl ist. Dann gibt es die Lehre, die man vertieft übt, und schließlich Yoga, also das Üben der Ganzheit dieser Betrachtungen. Im Wesentlichen geht es darum, sich selbst besser kennen zu lernen und im Alltag weniger zu leiden.

Bei Tantra denkt man hierzulande ja schnell an Sex.

Man hat das Tantra im Westen leider publikumswirksam verformt, indem man die Sexualität in den Vordergrund stellte. Bei den Übungen im tibetischen Buddhismus visualisiert man Vorstellungen, mit Sexualität in unserem Verständnis hat das aber nichts zu tun. Es geht um Vorstellungen von Einheit und Leerheit, um kontinuierliche Selbsterkenntnis. Die Tibeter sagen, wir sind gar nicht das, was wir glauben, sondern wir werden bestimmt von achtzig Konzepten, also Vorstellungen, die wir im Laufe des Lebens durch die Sozialisation und die Erziehung angenommen habe. Wenn ich diese Konzepte nicht kennen lerne, bin ich durch diese Muster festgelegt und deswegen nicht „Herr (oder Frau) im eigenen Haus“.

Es geht also darum, ein besserer Mensch zu werden?

Im Buddhismus lehrt man drei „Tore der Befreiung“. Das erste Tor ist das richtige Verständnis von Leerheit, das zweite ist die Bewertungslosigkeit. Wenn ich ständig bewerte, betrachte ich die Dinge, Beziehungen und Verhältnisse nicht mehr, wie sie sind, sondern bewerte sie meist danach, was ich haben will. Damit schaffen positive Bewertungen Anhaftungen und negative Bewertungen Ablehnung beziehungsweise Aggression. Wenn es mir nun gelingt, das Nicht-Bewerten zu üben, kann ich die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind und ich kann das dritte Tor der Befreiung erreichen, die Wunschlosigkeit. Wenn ich nichts mehr haben will und nichts mehr ablehne, begebe ich mich einfach in den Fluss des Lebens und in die Beziehungen, so wie sie mir begegnen, und ich fühle mich frei, kann Freude entwickeln.

Glauben Sie an Wiedergeburt?

Bei uns im Westen ist das Verständnis der Wiedergeburt meist von der christlichen Tradition geprägt, dass ich also wiederkomme in der Form, wie ich hier existiere. Im Buddhismus nimmt man an, dass es in uns einen unzerstörbaren Teil des Absoluten gibt, der auch mein Karma, das Ergebnis meines Denkens, Kommunizierens und Handelns, gespeichert hat. Dieser Teil geht nach dem Tod in die Leerheit, die aber gleichzeitig Fülle bedeutet, in das Absolute oder Göttliche, ein. Irgendwann inkarnieren sich daraus wieder diese unzerstörbaren Eigenschaften und Fähigkeiten in einem anderen Menschen. Das hat mit meiner jetzigen körperlichen Existenz jedoch kaum etwas zu tun. An Wiedergeburt, wie man sie im westlichen Verständnis allgemein betrachtet, glaube ich nicht. Trotzdem kommen jetzt in meinem Alter stärker Fragen auf, die den letzten Lebensabschnitt betreffen. Wie geht ich mit dem Altern um, wie bereite ich mich auf die Verwandlung vor? Da kann man meditativ üben. Man verliert dadurch die Angst vor dem Altern und Sterben, weil man lernt, die Vorgänge als einen ganz natürlichen Prozess zu betrachten.

Warum glauben Sie, dass der Buddhismus gerade in westlichen Ländern so attraktiv ist?

Der Buddhismus bietet alltagsbezogene Methoden und Übungsweisen, die mit konkreten Problemen unseres Lebens zu tun haben. Schuld spielt im Buddhismus praktisch keine Rolle, weil man sagt, Schuld blockiert, Schuldgefühle machen manipulierbar, Schuld schwächt. Es geht eher darum, die Persönlichkeit zu stärken in dem Sinne, dass ich mich wirklich erkenne und sehe, wo ich meine Schwachpunkte oder Fehler habe.


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Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social