Gott & Glauben

Mormonen: „Familienbande halten über den Tod hinaus“

In einer Interviewreihe stellt „Evangelisches Frankfurt“ die Mitglieder des Rates der Religionen vor. Dagmar Kollmeier vertritt dort die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“, landläufig auch bekannt als „Mormonen“.

Dagmar Kollmeier im Gottesdienstraum der „Mormonen“ in Eckenheim. Die 40 Jahre alte Juristin arbeitet hauptberuflich in der dortigen Europa-Zentrale. Foto: Ilona Surrey
Dagmar Kollmeier im Gottesdienstraum der „Mormonen“ in Eckenheim. Die 40 Jahre alte Juristin arbeitet hauptberuflich in der dortigen Europa-Zentrale. Foto: Ilona Surrey

Ihre Religionsgemeinschaft hat einen sehr langen Namen: „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“. Können Sie kurz erklären, was das bedeutet?

Bereits die Mitglieder der Urkirche nannten sich „Heilige“, und meinten damit einfach „Nachfolger Christi“. „Der letzten Tage“ sagen wir, weil es die Zeit vor dem Wiederkommen Christi ist. In der Urkirche waren die Heiligen der ersten Tage, wir heute sind die der letzten Tage.

Landläufig nennt man Sie auch „Mormonen“.

Das ist ein Spitzname, der sich vom „Buch Mormon“ ableitet, eine weitere heilige Schrift, an die wir neben dem Alten und dem Neuen Testament glauben. Mormon ist einer von mehreren Propheten, die zwischen 600 vor Christus und 400 nach Christus auf dem amerikanischen Kontinent gelebt haben. Eine Gruppe von Gläubigen hatte sich von Jerusalem aus auf den Weg gemacht, um in der neuen Welt eine Gemeinschaft zu gründen. Sie bauten dann in Amerika eine eigene Kultur auf.

Aber 600 vor Christus – damals hat Jesus ja noch gar nicht gelebt!

Im Alten Testament wurde Christus doch auch schon prophezeit. Genauso haben diese Propheten Christus vorhergesagt. Wir glauben auch, dass er nach seiner Auferstehung den Menschen in Amerika erschienen ist, ähnlich wie den Jüngern in Jerusalem. Ungefähr 400 nach Christus hatten sich die Menschen aber so weit vom Glauben abgewendet, dass Gott sein Evangelium wieder von der Erde nahm. Der letzte Prophet vergrub die Schriften. 1820 fragte Joseph Smith, damals ein 14jähriger Junge, im Gebet den Vater im Himmel, welcher Kirche er sich anschließen sollte. Die Antwort war: Keiner, du wirst die Kirche wieder aufrichten, die Jesus Christus selbst errichtet hat. Einige Jahre später wurde ihm gezeigt, wo die alten Schriften vergraben waren; er hat sie übersetzt, und so haben wir heute das Buch Mormon.

Gibt es diese Schriften noch irgendwo?

Diese Prophezeiungen waren auf Messingplatten eingraviert, teilweise auch auf Gold. Viele wollten Joseph Smith diese Platten abnehmen. Deswegen hat er sie wieder dahin zurückgegeben, woher er sie bekommen hatte. Wir wissen nicht, wo sie sind, und es ist für uns auch ohne Belang.

Wie viele Mitglieder hat Ihre Kirche heute?

Ungefähr 14 Millionen in nahezu allen Ländern der Welt. Am Anfang war das natürlich alles sehr amerikanisch geprägt, inzwischen haben wir aber mehr Mitglieder außerhalb als in Amerika. In Deutschland sind wir ungefähr 38.000, im Rhein-Main-Gebiet knapp 3.000.

Wie sind Sie persönlich dazu gekommen?

Ich bin katholisch aufgewachsen und hatte nach meinem Examen sehr viele Fragen, auf die ich keine Antwort gefunden habe, auch nicht in Gesprächen mit meinem Pfarrer. Zu der Zeit hatte ich eine Mitbewohnerin, die mich sehr beeindruckt hat. Sie hatte als junges Mädchen ihre Mutter verloren, war aber trotzdem eine sehr positive, fröhliche junge Frau. Sie war überzeugt, dass sie nach dem Tod wieder mit ihrer Mutter zusammenleben wird. Das hat mich sehr fasziniert.

Sie glauben, dass das Familienleben nach dem Tod weitergeht?

Genau. Wenn wir heiraten, hören wir die Worte „für Zeit und alle Ewigkeit.“ Das heißt, die Bündnisse, die wir schließen, haben ewigen Bestand. Ich bin seit drei Jahren verheiratet und habe eine kleine Tochter, und dass selbst der Tod mich nicht von meinem Mann und meiner Tochter und auch nicht von meinen Eltern trennen kann, das ist ein sehr schöner und tröstlicher Gedanke.

Das ist aber noch kein Beweis dafür, dass es auch wahr ist.

Ja, das stimmt. Aber warum sollte der Vater im Himmel uns hier mit dieser wundervollen Struktur der Familie segnen, nur, um sie uns nach dem Tod wieder zu nehmen? Das würde für mich keinen Sinn machen. Außerdem habe ich den Vater im Himmel befragt und im Herzen die Antwort bekommen: Ja, es ist wahr.

Gibt es bei Ihnen dann auch keine Ehescheidung?

Es gibt leider Ehescheidungen, wenn auch in weitaus geringerem Prozentsatz als außerhalb der Kirche. Wir sind ja auch nur Menschen, und es ist nicht so, dass bei uns immer alles perfekt ist.

Und man darf dann auch wieder heiraten?

Ja, das darf man.

Man sagt Ihrer Kirche ja nach, Sie hätten die Vielehe.

Anfangs war es aus verschiedenen Gründen erlaubt, dass ein Mann mehrere Frauen haben konnte. Es war für alleinstehende Frauen oftmals schwierig, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, deshalb hat man die Mehrehe erlaubt, wenn alle Frauen einverstanden waren und der Mann sie finanziell unterhalten konnte. Aber das ist jetzt schon lange verboten, seit Ende des 19. Jahrhunderts. Wer Polygamie betreibt, wird aus der Kirche ausgeschlossen. Es gibt in Amerika allerdings einige Gruppierungen, die das noch betreiben. Diese haben sich aber schon vor über hundert Jahren abgespalten und dürfen auch den Namen der Kirche nicht führen.

Wie wird man Mitglied in Ihrer Kirche?

Man bekommt zuerst einige Belehrungen, weil es ja doch wichtige Unterschiede zu anderen Religionen gibt, und weil man auch einige Verpflichtungen auf sich nimmt. Wenn man dann möchte, wird man getauft, durch die Ganzkörpertaufe, und dann werden die Hände auf den Kopf des Täuflings gelegt, und er bekommt die Gabe des Heiligen Geistes. Kinder werden normalerweise im Alter von acht Jahren getauft.

Welcher Art sind die Verpflichtungen, die man auf sich nimmt?

Wir trinken keinen Kaffee und keinen Alkohol, wir rauchen nicht, wir nehmen keine illegalen Drogen. Und wir zahlen den Zehnten, also zehn Prozent unseres Einkommens.

Wie läuft Ihr Gemeindeleben am Sonntag ab?

Wir haben drei Versammlungen: Eine Stunde, in der sich Frauen und Männer getrennt treffen, eine Abendmahlsversammlung und die Sonntagsschule. Da behandeln wir das Alte Testament, das Neue Testament, das Buch Mormon und dann auch neuzeitliche Offenbarungen. Wir glauben ja, dass es seit Joseph Smith immer einen Propheten an der Spitze der Kirche gegeben hat. Momentan ist das Thomas S. Monson. So wie Petrus, Jakobus und Johannes die Präsidentschaft der Urkirche bildeten, so haben wir auch heute einen Präsidenten und zwei Ratgeber. Daneben gibt es ein weiteres Führungsgremium, das Gremium der zwölf Apostel.

Können das auch Frauen sein?

Nein. Das Priestertum ist eine Vollmacht, im Namen Gottes zu sprechen, und sie wird von Mann auf Mann übertragen. Das heißt aber nicht, dass wir Frauen diskriminiert werden. Wir haben eine eigene Organisation, die Frauenhilfsvereinigung, die in erster Linie karitative Gedanken hat. Dort nehmen alle Führungspositionen Frauen ein. Der Herr hat Frauen und Männern bestimmte Rollen und Funktionen übertragen. Wie im Theaterstück, da passt es einfach besser, wenn eine Frau die Julia spielt und ein Mann den Romeo. So sehen wir das.

Gibt es bei Ihnen hauptamtliche Priester?

Nein, alles ist ehrenamtlich. Jede Gemeinde hat einen Bischof, der während der Woche seinem ganz normalen Beruf nachgeht.

Macht er auch die Belehrungen der Sonntagsschule, von der wir vorhin sprachen?

In der Regel macht das ein Sonntagsschullehrer, der dazu berufen wird. Das können Männer wie Frauen sein.

Wie viele Menschen kommen an so einem Sonntag?

Die Frankfurter Gemeinde ist sehr groß, es kommen ungefähr 200 Mitglieder. Wenn eine Gemeinde größer wird, wird sie normalerweise geteilt, weil man es nicht zu groß werden lassen will.

Und Sie selbst?

Wir gehen, wenn möglich, jeden Sonntag in die Kirche. Uns ist das Abendmahl sehr wichtig, und man wird aufgebaut, man spricht über positive Dinge, das möchte ich nicht missen. Wir versuchen auch, den Sonntag frei zu halten von allen weltlichen Dingen. Das heißt, wir nehmen nicht an Sportveranstaltungen teil und gehen auch nicht ins Museum oder ins Restaurant. Das machen wir von Montag bis Samstag, aber den Sonntag versuchen wir, dem Herrn zu weihen, besuchen Kranke oder die Familie, solche Dinge.

Die großen Kirchen erkennen Sie nicht als christlich an, wie ist es andersherum?

Wir denken, dass alle Religionen, die wirklich das Gute im Menschen fördern wollen, von Gott gewollt sind. Wenn wir es auf das Wesentliche reduzieren, dann unterscheiden wir uns ja gar nicht so sehr. Wir behaupten nicht, dass wir die alleinige Wahrheit haben. Alles, was wir sagen, ist: Bringt alles zusammen, und dann schauen wir, ob wir euch noch etwas dazugeben können, das euch auch glücklich machen könnte, wie beispielsweise die Lehre von der ewigen Familie oder die lebenden Propheten.


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Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social