Leben & Alltag

Vergiftete Beziehungen: Nichts wie raus!

Gewalt hat in einer Paarbeziehung nichts zu suchen. Das gilt nicht nur für körperliche, sondern genauso für emotionale und psychische Gewalt. Auch wenn die schwerer zu erkennen ist und manchmal subtil abläuft.

Beziehungsgewalt ist nicht immer  körperlich, sie kann auch auf emotionaler Ebene ablaufen. | Foto: Sophie Schüler
Beziehungsgewalt ist nicht immer körperlich, sie kann auch auf emotionaler Ebene ablaufen. | Foto: Sophie Schüler

Blaue Flecken, gebrochene Knochen, Schürfwunden – 157 818 Menschen in Deutschland erlebten im Jahr 2022 Gewalt in ihrer Partnerschaft, so ein aktueller Bericht der Bundesregierung und des Bundeskriminalamtes. Aber Gewalt in Beziehungen zeigt sich nicht nur durch körperliche Verletzungen. Auch Worte können schmerzen. Körperlicher Gewalt geht immer ein psychischer und emotionaler Missbrauch voraus. Gewalt in Beziehungen ist ein komplexes Problem. Oft beginnt der Missbrauch vermeintlich harmlos, aber irgendwann bleibt es nicht mehr bei Worten.

Stefan W. zum Beispiel (Name geändert), beschreibt seine Ehe als Martyrium. Schon seit Jahren misshandele ihn seine Frau, sowohl seelisch als auch körperlich. Er erlebt Beleidigungen, Wutausbrüche, Erpressungen und den Liebesentzug. Trotzdem bleibt er bei ihr – wegen der Kinder, und weil er immer noch auf Besserung hofft. Schließlich verspreche ihm seine Frau immer wieder, dass sie sich ändern will.

Stefan W. ist kein Einzelfall. Sein Beispiel zeigt zudem, dass Gewalt in Beziehungen nicht immer nur von Männern, sondern auch von Frauen ausgeht, wenn auch nicht in derselben Häufigkeit. Die Anzeichen sind in beiden Fällen ähnlich: Ständige Wutausbrüche, Geschrei, Abwertung und Dauerkritik, aber auch andauernde Respektlosigkeit, Unhöflichkeit, Herablassung oder Bevormundung in Beziehungen sind Formen der psychischen Gewalt. Es geht darum, Kontrolle über den anderen zu erlangen und sich selbst aufzuwerten.

Jedoch – nicht jede schlechte Beziehung ist gleich eine Gewaltbeziehung. Patricia Evans, Autorin des Buches „Worte, die wie Schläge sind“, listet Anzeichen auf, die auf psychische Gewalt hindeuten: das Vorenthalten von Nähe und Intimität, von echter Kommunikation, die Gefühle und Wahrnehmung des Partners oder der Partnerin zu leugnen und fast reflexartig grundsätzlich zu widersprechen oder „dagegen“ zu sein.

In Gewaltbeziehungen fallen häufig verletzende oder kränkende Bemerkungen, die als Scherz getarnt sind. Das Gegenüber wird permanent abgewertet und kritisiert, Beschwerden bagatellisiert und banalisiert. Es fallen Drohungen und Beleidigungen. Dinge, die der anderen Person wichtig sind, werden „zufällig“ vergessen. Beim Sprechen wird sie dauernd unterbrochen, ihre Wahrnehmungen für falsch und verrückt erklärt – ein Phänomen, das auch als „Gaslighting“ bekannt ist (siehe Box rechts).

Hinzu kommt: Anders als Schläge hinterlässt psychische Gewalt keine sichtbaren Spuren und ist daher schwer zu fassen oder gar zu beweisen – für die Betroffenen selbst, aber auch für die Umwelt. Psychische Gewalt wird meist nur dann ausgeübt, wenn das Paar allein ist. Und wer würde glauben, dass dieser charmante, hilfsbereite, erfolgreiche Mensch grausam und mit voller Absicht verletzend ist? Viele Opfer von Gewaltbeziehungen halten lange in der Situation aus, denn missbräuchliche Menschen sind oft Meister der Entschuldigung. Wer wollte nicht glauben, dass sie sich in Zukunft bessern? Muss, wer liebt, nicht immer wieder verständnisvoll sein?

„Den Ausstieg aus einer solchen Beziehung schaffen viele nur mit therapeutischer Hilfe“, sagt Judith Rosner, Paar- und Familientherapeutin und Leiterin der evangelischen Psychologischen Beratungsstelle in Frankfurt-Höchst. Häufig fühlen sich die Opfer trotz allem vom Partner oder der Partnerin abhängig und verharren deshalb in der schädlichen Beziehungssituation. „Manche verleugnen, dass sie misshandelt werden, oder sie entschuldigen den Täter“, sagt Rosner.

Die Auswirkungen von emotionaler und psychischer Gewalt können extrem sein, vergleichbar mit einem schleichenden Gift, das langsam zersetzt und lähmt. Nicht selten haben Betroffene noch lange nach einer solchen Erfahrung mit den Folgen zu kämpfen. Warum tut jemand anderen so etwas an? Manche Menschen fühlen sich nur stark, wenn sie Macht über andere ausüben und sie kontrollieren können, schreibt Buchautorin Patricia Evans. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht, die Bandbreite reicht von subtil bis brutal.

Psychische Gewalt findet selten öffentlich statt und tritt oft unerwartet auf, gerade wenn man sich glücklich, motiviert oder erfolgreich fühlt. Zwischen den Angriffen scheint die Beziehung „zu funktionieren“. Geständnisse, Reue oder Selbstkritik sind fast immer taktisch und zielen darauf ab, dass das Opfer wieder Hoffnung schöpft und „weitermacht“.

Nicole Jäger, deutsche Stand-up-Comedian, hat über ihre toxische Beziehung ein Buch geschrieben: „Unkaputtbar“. Darin schreibt sie, dass ihr mangelndes Selbstwertgefühl der Grund war, warum sie es lange nicht schaffte, sich zu trennen. „Ich bin mit Liebesentzug erzogen worden. Wenn ich ein braves Kind war, wurde ich geliebt. Wenn nicht, gab es keinen Gute-Nacht-Kuss, kein Ins-Bett-Bringen. Man hat mich spüren lassen, dass ich gerade nicht in Ordnung bin.“ Auf diese Weise habe sie gelernt, dass sie nur liebenswert ist, wenn sie sich richtig verhält, und ansonsten zu Recht bestraft wird, schreibt Jäger.

Solche Kindheitserfahrungen sind oft der Grund, warum gewalttätiges Verhalten in Beziehungen für die Opfer selbst eine gewisse Logik hat. Aber in einer Beziehung, in der Gewalt regiert, egal ob physisch oder psychisch, ist keine Liebe. Anders als das Sprichwort behauptet, braucht es nicht immer zwei, um eine missbräuchliche Beziehung zu bilden: Ein gewalttätiger Mensch genügt.

Wie lange jemand in einer zerstörerischen Beziehung bleibt oder wann er sie beendet, hänge immer auch von den persönlichen Ressourcen ab, erklärt Paartherapeutin Rosner. Ein erster Schritt könne sein, mit Freund:innen, Eltern oder anderen Vertrauenspersonen über die Erfahrungen zu sprechen. Außenstehende könnten manchmal dabei helfen, das eigene Erleben einzuordnen und unerträgliche Situationen auch als solche zu benennen.

Wenn man aber tatsächlich in einer Gewaltbeziehung lebt, ist die einzige Lösung: So schnell wie möglich den Notausgang finden.

Fünf Anzeichen für eine Gewaltbeziehung

Ungleichheit: Menschen, die psychische und emotionale Gewalt ausüben, wollen häufig „am längeren Hebel sitzen“. Wirkliche Gleichberechtigung erleben sie als Bedrohung. Zum Beispiel wollen sie in alle Entscheidungen einbezogen werden, „vergessen“ aber selbst, ihre Entscheidungsprozesse mitzuteilen. Es ist schwierig, mit ihnen mittel- oder langfristig etwas zu planen. Gleichzeitig versuchen sie ihr Gegenüber auf Aussagen festzunageln und blocken unbequeme Diskussionen ab.

Wett- und Machtkampf: Leistungen der Partnerin oder des Partners empfinden sie nicht als Bereicherung für die Beziehung, sondern als Bedrohung und können es nur schwer ertragen, wenn er oder sie Komplimente von Dritten bekommt. Statt mit Anerkennung und Wertschätzung reagieren sie dann mit Angriffen und Abwertung.

Feindseligkeit: Fast täglich erlebt man von ihnen Beleidigungen, Schuldzuweisungen, Angriffe. Gewalttätige Partner:innen sind nie „auf deiner Seite“. Typische Aussagen sind zum Beispiel: „Du hast keinen Humor“, „Du bist zu empfindlich“, „Stell dich nicht so an“, „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten“, „Das bildest du dir bloß ein“, „Dann such dir doch jemanden, der besser zu dir passt“, „Ich kann sagen, was ich will“.

Kontrolle: Gute Beziehungen gründen auf Intimität, auf dem vertrauensvollen und offenen Austausch untereinander, gerade auch bei schwierigen Themen oder wenn man unterschiedlicher Ansicht ist. In Gewaltbeziehungen ist dies kaum möglich, denn die Misshandler:innen haben kein wirkliches Interesse daran, ihre Gedanken und Gefühle mitzuteilen. Es geht ihnen um Kon-trolle und oft auch darum, sich ihren eigenen Gefühlen nicht zu stellen.

Verunsicherung: In einer guten Beziehung ist es üblich, die Gefühle und Wahrnehmungen des Gegenübers anzunehmen, zu bestätigen oder gegebenenfalls Diskrepanzen offen zu besprechen. Misshandler:innen tun genau das Gegenteil: Sie versuchen, ihr Gegenüber zu verunsichern und zu schwächen, um Kontrolle und Macht zu bekommen.


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Autorin

Sandra Hoffmann-Grötsch ist Journalistin in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

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